Wie sich Sportverletzungen unterscheiden und wie man selbst vorbeugen kann
10.02.2023
Text: Stephanie Danner; Fotos: Adobe Stock/glebcallfives, Adobe Stock/Beaunitta Van Wyk peopleimages.com, Adobe Stock/Jeanette Dietl, Adobe Stock/Alexis Scholtz peopleimages.com
Der Gesundheit Gutes tun, vielleicht das eine oder andere Kilo loswerden, den Kopf freibekommen oder einfach in einer Mannschaft den Teamgedanken leben: Es gibt viele gute Gründe, sich mehr zu bewegen. Doch manchmal passiert es doch: Ein Ball prallt hart und unglücklich gegen den Körper, das Sprunggelenk knickt um, die Schulter verrenkt.
Sport ist Mord, sagt der Volksmund. Das stimmt so sicher nicht. Aber risikoreich kann das Sportmachen schon sein. Ungefähr zwei Millionen Sportverletzungen pro Jahr gibt es in Deutschland. Dabei tauchen Fußballer überdurchschnittlich häufig in der Statistik auf, aber Fußball ist auch der Deutschen liebster Freizeitsport. Egal ob auf dem Bolzplatz, beim Joggen oder auf dem Volleyball-Feld – schnell kann man sich verletzen. „Rein sportspezifische Verletzungen gibt es aber nicht“, sagt der Sportorthopäde Dr. Boris Brand aus Neckarsulm. „All die Verletzungen kann man sich auch in einem anderen Umfeld zuziehen, beispielsweise im Haushalt oder bei der Arbeit.“
Akute Schmerzen und chronische Überlastung
Orthopäden unterscheiden vielmehr zwischen akuten Verletzungen und Überlastungsschäden. In Bezug auf Sport bedeutet akut: Plötzlich schießt beim Joggen ein Schmerz in der Wade ein. „Das könnte ein Muskelfaserriss sein, den man ärztlich abklären lassen sollte“, sagt Brand, der stellvertretender Landesvorsitzender beim Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie ist. Auch wenn das Knie des Fußballers nach einer schnellen Rotationsbewegung fürchterlich weh tut, weist das auf eine akute Verletzung wie einen Meniskus- oder Kreuzbandriss hin. Akute Verletzungen kommen eher in den körperbetonten Mannschaftssportarten vor – etwa beim Handball, Fußball, Eishockey.
Von chronischer Überlastung spricht man dagegen eher, wenn der Radfahrer irgendwann Rückenprobleme bekommt, der Jogger mit der Achillessehne zu kämpfen hat oder der Schwimmer die Schulter nicht mehr rund bewegen kann. „Das baut sich langsam auf, mal hat man Schmerzen, dann wieder nicht. Da geht man nicht sofort zum Arzt“, weiß Brand aus langjähriger Erfahrung.
Generell verletzen sich Sportler an den unteren Extremitäten schneller als an Ellenbogen oder Schulter. Am häufigsten kämen Patienten mit einem sogenannten Umknicktrauma in die Praxis, sagt der Orthopäde Brand. Das käme in vielen Sportarten vor. Jogger – ungeübte zumal – sind aber besonders oft betroffen. Am einschneidendsten ist aus Expertensicht ein Kreuzbandriss. Der Heilungsprozess ist langwierig, Freizeitsportler können acht bis neun Monate keinen Sport mehr machen. Knochenbrüche heilen wesentlich schneller. Nach sechs bis acht Wochen sind die meisten Patientinnen und Patienten wieder voll beweglich und belastbar und können auch Sport ausüben.
Gehirnerschütterung ernst nehmen
Wer eine Gehirnerschütterung davonträgt, muss in der Anfangszeit besonders konsequent sein: „Man muss sie vollständig ausheilen, damit es keine Langzeitschäden gibt“, sagt Brand. Dazu zähle ein absolutes Sportverbot. Aber auch das Gehirn brauche Ruhe. Am Handy sein oder ein Buch lesen – das ist viel zu anstrengend. „Meinen Patienten rate ich immer zu einem ausgiebigen Waldspaziergang. Dort ist es leise und es gibt nicht so viele verschiedene Einflüsse.“ Nach zehn Tagen seien 85 Prozent der Patienten von einer Gehirnerschütterung genesen, die meisten nach 30 Tagen. Wer eine Gehirnerschütterung nicht ernst nehme, sofort wieder Sport mache und erneut einen Schlag gegen den Kopf bekomme, riskiere langfristige Folgen wie Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Ärzte sprechen in diesem Fall vom Second Hit Syndrom.
Die PECH-Regel
Nicht unbedingt notwendig ist ein Arztbesuch hingegen bei sogenannten Bagatellen wie Prellungen, Verrenkungen, Zerrungen, Abschürfungen oder Schnittverletzungen. Oftmals genügen dann ein paar Selbsthilfe-Tipps wie das Kühlen oder Hochlegen. Ganz ähnlich sind Orthopäden früher bei vielen Sportverletzungen vorgegangen: Sie haben die PECH-Regel verfolgt.
P – Pause
E – Eis
C – Compression
H – Hochlagern
Die POLICE-Regel
„Inzwischen hat man das Schema erweitert“, sagt Sportmediziner Brand. So wird das verletzte Körperteil nicht mehr nur stillgelegt, sondern schnellstmöglich wieder schrittweise belastet. Behandelt wird nach der POLICE-Regel:
P – Protection (Schutz durch Bandagen oder Schienen und Gehstützen)
OL – Optimal Loading (schrittweise kontrollierte Belastung, mit anfangs z. B. nur 20 Kilogramm)
I – Ice (Kühlung)
C – Compression (Kompression)
E – Elevation (Hochlagern)
Was Frauen und Männer unterscheidet
Unterschiedliche Anatomien bedeuten unterschiedliche Verletzungsrisiken. Wenn es um die Gefahr beim Sport geht, spielt deshalb auch das Geschlecht eine Rolle. So sind fußballspielende Frauen bis zu acht Mal anfälliger für einen Kreuzbandriss als männliche Fußballspieler, sagt Dr. Boris Brand. Warum das so ist, hat mit der Anatomie zu tun. So ist der Oberschenkelmuskel von Frauen hinten weniger ausgeprägt als vorn, wodurch das Kreuzband mehr Belastung aushalten muss – und anfälliger wird. Hauptursache ist aber vermutlich die X-Bein-Stellung, die bei Frauen viel häufiger vorkommt als bei Männern. „Kommt es zu einem Zusammenstoß oder springt man hoch, knickt das Knie bei Frauen oft ins X.“ Das Kreuzband wird überlastet und reißt. „Mit gezielten Übungen lässt sich die X-Bein-Stellung wegtrainieren“, betont der Sportorthopäde. So lasse sich das Risiko eines Kreuzbandrisses um mehr als 50 Prozent senken.
Auch wenn sportliche Aktivitäten ein Verletzungsrisiko bergen, ist es doch viel gesünder als sich gar nicht zu bewegen. Am besten ist selbstverständlich, dass es gar nicht erst zu Verletzungen kommt. Dafür kann jede Sportlerin und jeder Sportler selbst etwas tun.
Tipps zur Vorbeugung
- Durchchecken lassen: Wer längere Zeit keinen Sport gemacht hat, sollte sich vor Trainingsbeginn von einem Arzt durchchecken lassen. Das gilt besonders, wenn man Vorerkrankungen an Lunge, Herz oder Gelenken hat. Auch allen über 35-Jährigen wird zum vorherigen Arzttermin geraten.
- Geduld haben: Zu Beginn des Trainings sollte der Körper durch kurze und regelmäßige Übungsintervalle an die Belastung gewöhnt werden. Wer sich nicht überschätzt, hat dauerhaft mehr Spaß am Sport.
- Abwechslungsreich trainieren: Einseitiges Training kann zu Überlastung und damit zu Verletzungen führen. Am besten kombiniert man Sportarten, mit denen Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination trainiert werden.
- Gut aufwärmen: Jedes Trainingseinheit sollte mit einem Aufwärmprogramm beginnen. So lassen sich vor allem Zerrungen und Muskelfaserrisse vermeiden.
- Richtiges Equipment wählen: Wer mit einer guten Ausrüstung Sport macht und gegebenenfalls auch Schutzkleidung trägt, mindert sein Verletzungs- und Unfallrisiko.
- Bewusst ernähren: Wer auf eine bewusste Ernährung setzt, tut seinem Körper generell Gutes. Neben vitamin- und ballaststoffreicher Kost ist die Zufuhr von Kohlenhydraten und Proteinen für Breitensportler wichtig.