Immer an seiner Seite
Autorin: Katrin Lange | Fotos: Westend 61
Wenn ein Familienmitglied pflegebedürftig wird, entscheiden sich rund zwei Drittel aller Deutschen, die Pflege zuhause selbst zu übernehmen. So auch Luise Becker*, die sich fünf Jahre lang um ihren Mann gekümmert hat.
Es begann mit einem Fahrradunfall. Der Rentner Egon Becker* hatte im Sommer 2012 eine Tagestour entlang des Neckars geplant. Ein Sturz machte dem Ausflug ein jähes Ende: Mit drei gebrochenen Rippen und einer Schulterverletzung musste er sofort in die Klinik. Als er Wochen später zurück nachhause kam, war er so geschwächt, dass er kaum noch gehen konnte. Doch das war nicht der Grund dafür, dass er auch in den folgenden Monaten immer wieder stürzte. „Er hatte Gleichgewichtsstörungen und es hat lange gedauert, bis man der Ursache auf den Grund gekommen ist“, erzählt seine Tochter Kerstin Welte*. Die Diagnose: Multisystematrophie, eine unheilbare Krankheit, die schleichend Nervenzellen im Gehirn zerstört.
In der vertrauten Umgebung
Für seine Frau war es völlig klar, dass sie ihn zuhause pflegen wird: „Er sollte doch in seiner vertrauten Umgebung bleiben – und ich war fit, wie heute noch mit meinen 78 Jahren“, begründet sie ihren Entschluss. Das erforderte viel Einsatzbereitschaft – denn die Pflege ist körperlich herausfordernd und die damit verbundene Bürokratie aufwendig. Das fängt mit der Feststellung des Pflegegrads an und hört mit der Beschaffung der nötigen Hilfsmittel noch lange nicht auf. „Ich habe das alles mit unserer Patientenbegleiterin bei der Bosch BKK besprochen. Man sieht ja erst im täglichen Leben, woran es noch hapert: Haltegriffe für die Toilette, ein Lift für die Badewanne, Krücken, Rollator und später ein Rollstuhl. Die waren schneller als schnell beim Genehmigen, wir haben auf nichts warten müssen“, so Kerstin Welte.
Luise Becker ist eine zupackende Frau und hat die neue Herausforderung so angenommen, wie sie ist. „Da wächst man rein, nach einer Weile sitzt jeder Griff: die Hilfe bei der Toilette, beim Ein- und Aussteigen ins Auto, beim Waschen und Essen.“ So viel Pragmatismus ist aber nicht jedem gegeben, weshalb die Bosch BKK kostenlose Pflegekurse für Angehörige anbietet, in denen die wichtigsten Techniken und Tipps für die tägliche Pflegearbeit vermittelt werden. Ziel dieser Kurse ist es auch, einer körperlichen und psychischen Überlastung der pflegenden Angehörigen vorzubeugen.
Pflege ist ein Vollzeitjob
Den Löwenanteil der häuslichen Pflege übernehmen Ehefrauen, Töchter oder Schwiegertöchter. Viele von ihnen unterschätzen anfangs, wie anstrengend diese Aufgabe ist, und merken erst später, dass sie kaum noch Zeit für sich selbst haben. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung ist Pflege ein Vollzeitjob – inklusive Haushalt durchschnittlich 63 Stunden pro Woche. Auch Kerstin Welte hatte Angst, dass ihre Mutter sich übernimmt. „Mein Bruder und ich haben sie immer wieder gebeten, dass sie sich ein bisschen schont. Aber sie wollte das so machen.“ Karin Kranhold, die als Patientenbegleiterin Familie Becker in all den Jahren beraten und unterstützt hat, bestätigt: „Selbstverständlich informieren wir Familien, die ihre Angehörigen selbst pflegen wollen, ausführlich über alle Hilfsangebote, die für Entlastung sorgen können. Die Wünsche unserer Versicherten stehen immer an erster Stelle.“
Die Aufgaben, die Luise Becker für ihren Mann übernehmen musste, wurden mit der Zeit immer größer. Anfangs konnte er noch an Krücken gehen, später saß er im Rollstuhl. Mit dem Fortschreiten der Krankheit wurde er bettlägerig, brauchte Windeln, konnte nicht mehr alleine essen. „Zum Schluss musste ich alles Essen pürieren und ihm ganz vorsichtig einflößen, weil sein Schluckmuskel gelähmt war.“ Eine Auszeit hat sich Luise Becker nicht gegönnt, obwohl das für pflegende Angehörige möglich ist. Bei der sogenannten Verhinderungspflege springen Pflegedienste, andere Angehörige, Freunde oder Nachbarn ein, die Kosten werden bis zu 1.612 Euro pro Jahr von der Pflegeversicherung übernommen. Das gibt pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, auch mal Urlaub zu machen und neue Kraft zu tanken. Alternativ kommt auch ein Aufenthalt in einer Kurzzeit-Pflegeeinrichtung infrage.
Ambulante Pflegedienste
In den letzten Lebensmonaten ihres Mannes hat Luise Becker doch Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch genommen. Der kam morgens und abends und hat beim Waschen geholfen, die Windeln gewechselt und vieles mehr. Zuvor hatte Kerstin Welte mehrere Pflegedienste um Angebote gebeten: „Es gab eine Spanne von 1.600 bis zu 4.000 Euro für die gleiche Arbeit. Andere haben gar kein Angebot gemacht und gleich darauf gedrängt, dass wir einen Vertrag unterschreiben.“ Für sie ein Unding, zumal ältere Menschen mit dieser Situation völlig überfordert sein dürften. Deshalb gehört es zu Karin Kranholds Aufgaben als Patientenbegleiterin, die Betroffenen darüber aufzuklären, welche Leistungen sie aus der Pflegeversicherung erwarten können und welche finanzielle Belastung auf sie zukommen kann. Laut Hans-Böckler-Stiftung müssen in einem Pflegehaushalt im Schnitt rund 360 Euro im Monat selbst aufgebracht werden.
Ins Pflegeheim ist Egon Becker nicht gekommen. Er ist im Dezember 2017 in seinen eigenen vier Wänden gestorben. Natürlich ist Luise Becker traurig und muss sich an die neue Situation gewöhnen: „Es wird schon gehen. Irgendwie bin ich aber noch im alten Trott, denke, er ist noch da und ich muss ihn pflegen.“ Wenn sie alle Behördengänge, die bei einem Todesfall anstehen, erledigt hat, will sie erst einmal einen Großputz machen. Und Zeit für sich? Ja, das auch. „Bevor mein Mann krank wurde, war ich jede Woche im Sportverein, das will ich unbedingt wieder anfangen. Und ich kann im Sommer wieder ins Freibad gehen.“ Auch Reisen sind geplant: Zu Weihnachten haben ihr die Kinder eine Reise nach Hamburg geschenkt, wo die Enkeltochter studiert. „Meine Mutter hat ja auf viel verzichten müssen“, so Kerstin Welte, „jetzt kann sie wieder mit ihren Damen Urlaub machen.“ Und wohin soll es gehen? „Vielleicht nach Mallorca.“
* Die Namen der Personen in diesem Artikel wurden von der Redaktion geändert. Die Fotos zu dieser Geschichte zeigen nicht die im Text beschriebenen Menschen.
Rund um die Pflege
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Wenn ein Mensch unheilbar krank wird, ist das für die betroffene Person und für deren Angehörige eine besonders schwierige Lebensphase. Im Rahmen der ambulanten Palliativversorgung unterstützen wir Sie dabei. Sie ermöglicht Schwerstkranken ein würdiges Leben bis zum Tod in ihrer vertrauten Umgebung zuhause.