Wegtrainieren kann man Erektionsstörungen nicht
13.09.2023
Text: Christian Günther; Fotos: Adobe Stock/Peakstock, Adobe Stock/HBS, Adobe Stock/feelphotoartzm
Für einen Mann ist es der Alptraum schlechthin: Du bekommst im Bett keinen hoch oder Dein Glied erschlafft beim Geschlechtsverkehr! Einmal kann ja passieren, man war müde und im Stress. Wenn es aber wieder und immer wieder passiert, kann es schnell zu einer traumatischen Erfahrung werden. Erektionsstörung, veraltet Impotenz oder der medizinisch korrekte Begriff: erektile Dysfunktion. Liegt diese vor, ist der Mann nicht mehr in der Lage, eine ausreichende Steife (Erektion) des Penis für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr erlangen zu können.
Angst und Scham
Viele Patienten, die unter Erektionsstörungen leiden, suchen Hilfe bei Sexualtherapeuten. Betroffen sind Männer von 20 bis 60+. Erektionsstörungen entwickeln häufig eine fatale Eigendynamik: Angst und Scham. Wenn eine Störung einmal aufgetreten ist, führt die Angst vor dem Versagen zu innerem Stress, der Lust und Erregung hemmt und das Auftreten wiederholter „Misserfolge“ wahrscheinlich macht. Sexualtherapeuten helfen, die Ursachen des Problems zu erkennen und den Teufelskreis aus Angst, Anspannung und Verlust der Erektion zu durchbrechen.
Das Zustandekommen einer Erektion ist komplex
Gelegentliche Erektionsprobleme sind durchaus normal, denn das Zustandekommen einer Erektion erfordert ein komplexes Zusammenspiel von Nerven- und Gefäßsystem und wird auch noch von männlichen Geschlechtshormonen beeinflusst. Der Penisschwellkörper verfügt über einen komplexen Aufbau. Die Gründe für eine Erektionsstörung sind vielfältig, können z.B. kardiovaskulär oder neurologisch bedingt sein. Körperliche Faktoren zählen genauso zu den Ursachen wie psychische – Stress, mangelndes Selbstvertrauen, Probleme in der Partnerschaft – oder eine Kombination aus allem. Neben den körperlichen Beschwerden verursachen sie auch einen hohen psychosozialen Druck beim Mann. Bei vielen Männern ist die sexuelle Lust, die Libido, weiterhin vorhanden. Allerdings kann diese mit der Zeit nachlassen, damit sich die Betroffenen nicht mehr mit dem „Problem“ auseinandersetzen müssen.
Organische Ursachen ausschließen
Erster ärztlicher Ansprechpartner bei Erektionsstörungen ist meist der Hausarzt oder der Urologe. Dort werden Penis und Hoden untersucht, Blut- und Hormontestes durchgeführt. Denn zunächst sollte man ggf. organische Ursachen ausschließen. So kann eine Erektionsstörung auch das erste Symptom einer Erkrankung sein, die den gesamten Körper betrifft, dazu zählen etwa arterielle Durchblutungsstörungen, Diabetes mellitus, Hormonstörungen in den „Wechseljahren“ des Mannes oder auch psychische Belastungszustände wie Depression. Zudem kann die erektile Dysfunktion auch durch Traumata, z.B. durch eine Prostata- oder Darm-OP verursacht werden. Auch begleitende Faktoren wie Drogen, starker Alkoholkonsum oder Rauchen können eine erektile Dysfunktion verstärken. „Eine erektile Dysfunktion“, so die Stuttgarter Sexual- und Trauma-Therapeutin Olga Hildebrandt, „ist in der ersten Linie eine Angststörung“. Gibt es eine organische Ursache, erhalten die Patienten in den meisten Fällen erektionsfördernde Medikamente oder mechanische Hilfsmittel, zum Beispiel eine Vakuumpumpe.
Vorbeugen mit gesundem Lebensstil
Wie können Männer einer erektilen Dysfunktion vorbeugen? Eine gesunde Lebensweise legt den Grundstein für eine starke Potenz bis ins hohe Alter. Denn hinter der Mehrheit der Erektionsstörungen stecken organische Ursachen, die durch Übergewicht, mangelnde Bewegung, Rauchen, Alkoholkonsum und eine ungesunde Ernährung begünstigt werden. Wegtrainieren kann man eine allerdings Erektionsstörung leider nicht. Aber Sport steigert das Wohlbefinden, verbessert die Durchblutung der Muskulatur und der inneren Organe. Das betrifft auch sämtliche, für die Erektion wichtigen, Organe wie Hoden, Prostata, Schwellkörper und Beckenbodenmuskulatur.
Paartherapie empfehlenswert
Wenn alle organischen Ursachen für eine Erektionsstörung ausgeschlossen werden können, kann der Hausarzt eine Behandlung bei einem Sexualtherapeuten empfehlen. „Ich empfehle meinen Patienten oft, dass die Partnerin zur Therapie mit dazu kommt“, sagt Therapeutin Olga Hildebrandt. Die Patienten mit Erektionsstörungen sind voller Angst und Scham: „Angst, dass es immer wieder passiert, dass ich die Partnerin immer wieder enttäusche. Dann entsteht Bindungsangst, die Partnerin könnte gehen“. Gerade für Männer sei die Erkenntnis besonders schwer sich zuzugestehen „Ich bin tatsächlich verletzlich, ich kann auf meinen Körper keinen Einfluss nehmen, ich kann meinen Mann nicht stehen“. Sie beobachtet bei ihren Patienten mit Erektionsstörungen nach Therapiebeginn oft eine riesige Erleichterung: „Endlich weiß es noch jemand anderes, endlich ist „der böse Drachen“ sichtbar“. Und jetzt kann man mit ihm auch umgehen lernen und Wege finden.
Den Fokus vom Kopf ins Becken verlagern
Erektionsstörungen können vielfältige Ursachen haben, oft finde man diese nicht, aber man könne sehr oft über Umwege etwas gegen Erektionsstörungen zu, so Hildebrandt. Eine ihrer Therapieansätze ist, das Problem, den Fokus und vielleicht auch die Lösung vom Kopf in den Körper, ins Becken zu verlagern: beispielsweise durch Wahrnehmungs- und Körperübungen, wie z.B. die Beckenschaukel. Denn durch die Bewegung sei man nicht mehr in der Erstarrung der Angst. „Die Angst und die Scham bei Erektionsstörungen ist groß, ich versuche meinen Patienten zu vermitteln ‚Wie spüre ich es?‘, die Angst, die giftigen Gedanken, die Horrorszenarien aus dem Kopf zu bekommen. Denn Anspannung ist schlecht für eine Erektion, hierfür braucht es eine gewisse Lockerheit. Wir versuchen viel über unseren Verstand zu lösen, was selten funktioniert“, so Hildebrandt. „Ich versuche zudem im Paargespräch zu erreichen, dass keine neuen Verletzungen entstehen oder dass diese geheilt werden“. Ein ehrlicher, offener Umgang auch mit diesem Thema ist sehr hilfreich. Beide Partner fühlen sich betroffen, sogar schuldig und allein ist es oft nicht einfach aus diesem Kreislauf auszusteigen, wo Scham, Schuld und Angst einander jagen – das hat die Therapeutin beobachtet.
Viele Männer würden beim Sex und Masturbieren sehr mechanisch und ohne Gefühl vorgehen: „Oft ist der Schwanz tot, es wird ohne Gefühl masturbiert“. Das Gefühl, die Wahrnehmung sei aber wichtig, gerade bei Erektionsstörungen. „Diese Empfindung wurde nicht gelernt, auch durch den immer wachsenden Pornokonsum wird eine andere Realität suggeriert, bei der keine einfühlsame, achtsame Beziehung zu so einem wichtigen Körperteil entsteht. Der Penis muss nur noch leisten! Der Mann muss nur noch leisten!“, so Hildebrandt.
Die Dauer einer Sexualtherapie zur Behandlung von Erektionsstörungen ist unterschiedlich, oft würden aber schon drei bis fünf Sitzungen einen Erfolg bringen, so Olga Hildebrandt. Die jüngeren Patienten mit Erektionsstörungen sind ihr oft lieber, die Erfolgsaussichten hier größer, „denn die über 50-Jährigen sind oft ungeduldig in der Therapie, wenn sie merken, ich muss ja was tun, dann springen sie oft frühzeitig ab“.