Was ist eigentlich Synästhesie?
Text: Antje Harders Foto: Christoph Born
Manche Menschen nehmen Musik als Farben wahr, andere schmecken sie sogar. Dahinter steckt eine besondere Fähigkeit: Synästhesie.
Kann Mozart nach Marzipan schmecken? Kann er, sogar ganz ohne Mozartkugel. Musiker wie Lady Gaga, Rapper Kanye West, Pharrell Williams oder Chris Martin von Coldplay wissen, wie das geht. Sie haben Synästhesie (griechisch: „syn“ = zusammen und „aisthesis“ = Wahrnehmung) und somit die Fähigkeit, verschiedene Sinneswahrnehmungen miteinander zu verknüpfen. Was Mitmenschen eher absonderlich erscheinen mag, passiert ihnen ganz automatisch: Synästhetiker nehmen Töne farbig wahr, schmecken Worte oder fühlen Buchstaben. „Ich sehe Töne wie eine Wand aus Farbe“, erklärte Lady Gaga 2009 in einem TV-Interview. Ihr Song „Poker Face“ sei „tiefgelb“. Auch der ungarische Komponist Franz Liszt soll sein Orchester 1842 überzeugt angespornt haben: „Dieser Ton ist dunkelviolett, meine Herren, und nicht rosa, glauben Sie mir!“
Während die Gabe früher als Krankheit galt, wird sie inzwischen als gesunde Extraleistung des Gehirns eingestuft: Durch zusätzliche neuronale Verbindungen wird bei der Reizung eines Sinnesorgans auch ein weiteres aktiviert. Dabei sind die unterschiedlichsten Verknüpfungen möglich. Mehr als 80 Formen von Synästhesie sind bekannt, darunter auch das sogenannte Fühlhören: Menschen mit dieser Fähigkeit haben etwa beim Klang einer Geige die gleiche Empfindung, als würden sie über ein weiches Fell streichen. Nicht verwechseln sollte man Synästhesie allerdings mit Halluzinationen nach Drogenkonsum: Diese Wahrnehmungen sind meist sehr variabel und folgen keinen festen Zuordnungen.
Begabt, sensibel und sehr kreativ
Warum rund vier Prozent der Bevölkerung über die besondere Stärke verfügen, ist noch ungeklärt. Forscher vermuten eine erbliche Komponente. Belegt ist auch, dass Synästhesie häufiger bei Frauen als bei Männern und oft bei Linkshändern auftritt. Zudem sind diese Menschen nicht selten hochbegabt, hochsensibel oder außergewöhnlich kreativ. Einige leiden allerdings unter Aufmerksamkeitsstörungen und Orientierungsschwierigkeiten. Die meisten Synästhetiker betrachten ihre Besonderheit aber als Gewinn. Und nicht alle haben diese Fähigkeiten von Geburt an. 2012 ging ein spektakulärer Fall durch die US-Medien: Derek Amato nahm nach einem Unfall mit starker Gehirnerschütterung plötzlich Töne als Quadrate wahr. Er wandelte sie am Piano in erstaunliche Kompositionen um – obwohl er zuvor noch nie Klavier gespielt hatte.