Unsere Nase – Das unterschätzte Sinnesorgan
Text: Brigitte Bonder; Fotos: Adobe Stock/donikz, Adobe Stock/Igor Normann, Adobe Stock/djile, Adobe Stock/Carmen Steiner, Adobe Stock/ArtSys
Der menschliche Geruchssinn ist eng mit Gefühlen und Erinnerungen verknüpft und übernimmt lebenswichtige Funktionen.
Wenn beim Schnupfen die Nase verstopft ist oder während einer Corona-Erkrankung der Geruchssinn verloren geht, wird uns bewusst, wie wichtig das Riechen und Schmecken im Alltag ist. Unsere Nase leistet rund um die Uhr Schwerstarbeit und gilt dabei als echtes Multitalent. Das Riechorgan reinigt die eingeatmete Luft, erschließt uns die Welt der Düfte und hilft bei der Partnerwahl.
So funktioniert das Riechen
Die drei Grundfarben Rot, Blau und Grün ergeben das Spektrum des Sehens und auch die Zunge kann nur fünf Geschmacksrichtungen erkennen. Die Nase hingegen unterscheidet tausende unterschiedliche Duftnoten und ermöglicht eine bemerkenswerte Vielfalt an Wahrnehmungen. „Am sogenannten Nasendach befinden sich Riechschleimhäute mit Sinneszellen, die über Riechrezeptoren verfügen“, erklärt Prof. Dr. med. Thomas Hummel, Leiter des interdisziplinären Zentrums für Riechen und Schmecken am Universitätsklinikum Dresden. „Wenn die Moleküle aus der Atemluft an diesen Rezeptoren andocken, werden entsprechende Reize über Nervenbahnen zum Riechkolben und zu weiteren Arealen des Gehirns weitergeleitet.“ Das Riechhirn wertet die Informationen aus und der Mensch nimmt beispielsweise den Duft von Kaffee oder Rosen wahr.
Der Geruchssinn wird auch als olfaktorische Wahrnehmung bezeichnet und ist bereits bei Neugeborenen vollständig ausgereift. Das sogenannte Geruchsgedächtnis bildet sich insbesondere in den ersten drei Lebensjahren, zu dieser Zeit sammelt der Mensch den Großteil der olfaktorischen Eindrücke, die Spuren im Gehirn hinterlassen. Mit dem Alter nimmt die Fähigkeit, Düfte zu erkennen jedoch wieder ab. Rauchen und Kontakt mit Schmutz oder Chemikalien sorgen zudem für Einschränkungen des Geruchssinns.
Liebe geht durch die Nase
Die Nase ist ein unterschätztes Organ, dabei kann der Geruchssinn ein echter Lebensretter sein. Er warnt uns vor giftigen Aromen oder gefährlichem Rauch und erkennt beispielsweise verdorbenes Essen. „Neben dieser Warnfunktion sorgt der Geruchssinn auch dafür, dass der Mensch schmecken kann“, betont Prof. Dr. Hummel. Denn was fälschlicherweise der Zunge zugeordnet wird, ist eigentlich eine Fähigkeit der Nase. „Bei Riechverlust fehlt das Aroma beim Essen, die Speisen schmecken nur noch süßlich oder säuerlich.“
Wissenschaftlich erwiesen ist auch die soziale Funktion des Geruchssinns. Am bekannten Spruch „Ich kann dich gut riechen“ ist viel Wahres dran und sogar bei der Partnerwahl spielt die Nase eine wichtige Rolle. Der Grund dafür ist der individuelle Körpergeruch eines jeden Menschen. Biologen wiesen bereits in den 1990er Jahren nach, dass bestimmte Gene dafür verantwortlich sind, ob sich zwei Menschen „riechen“ können. Forscher fanden zudem heraus, dass sich Frauen häufig für Männer interessieren, deren Geruchsprofil ganz anders als das eigene ist. Das hat auch für eventuell gemeinsame Kinder Vorteile, denn je unterschiedlicher die Gene zwischen zwei Menschen sind, desto vielfältiger wird die Erbsubstanz und damit die Widerstandskraft gegen Krankheiten beim Nachwuchs sein.
Gerüche wecken Erinnerungen
Der Kaffee am Morgen, der Hauch eines Parfums oder die Käsetheke im Supermarkt - wir leben in einer Welt voller Gerüche. Rund um die Uhr beeinflussen sie unsere Stimmung, wecken Gefühle oder lassen Lust und Ekel entstehen. Während beispielsweise das Sehen im Schlaf abgeschaltet ist, funktioniert der Geruchssinn Tag und Nacht und lässt sich auch nicht willentlich abstellen. Einige Düfte wirken von Natur aus abstoßend, die meisten von ihnen bewertet der Mensch ganz individuell – je nach persönlicher Erfahrung oder kulturellem Hintergrund. Mit vielen Gerüchen verbinden wir auch Erinnerungen, die unsere Wahrnehmung des Geruchs beeinflussen.
Der Duft nach frisch gebackenem Kuchen lässt uns an schöne Stunden in Großmutters Küche denken, die geöffnete Tube Sonnencreme versetzt uns direkt in den Sommerurlaub am Meer. Viele Gerüche wecken lebhafte Erinnerungen – oft auch an längst vergangene und vermeintlich bessere Zeiten. „Der Geruchssinn ist eine Art Schlüssel insbesondere für frühkindliche Erinnerungen“, weiß Prof. Hummel. Das erlebte auch der Ich-Erzähler in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, denn in dem Roman von Marcel Proust löst ein in Tee getunktes Madeleine-Gebäck eine Rückschau in die Kindheit aus. Dieser Effekt, dass ein Geruchs- oder Geschmackserlebnis ganz bestimmte Erinnerungen hervorruft, wird daher als Madeleine- oder Proust-Effekt bezeichnet. Eine Erklärung für dieses Phänomen ist die enge Verknüpfung des Riechsinns mit den Hirnarealen, die für emotionale Reize zuständig sind.
Gerüche können nicht nur Erinnerungen, sondern auch Gefühle auslösen. Im Alltag kommen dazu häufig ätherische Öle zum Einsatz – ob als Raumspray, in der Duftlampe oder in Körperpflegeprodukten. Kräuter wie Rosmarin oder Minze wirken erfrischend und steigern die Konzentration, ein Orangenduft hellt die Stimmung auf. Melisse oder Lavendel sorgen für Entspannung, Tanne wirkt ausgleichend bei Unruhe und Stress und Rosenduft soll auf die Psyche harmonisierend wirken. Bei der Wirkung der Aromen spielen wieder die persönlichen Erinnerungen eine große Rolle. So träumen einige bei Lavendelduft vom Sommer am Mittelmeer, andere wiederum verbinden diesen Geruch mit Mottensäckchen im Schrank. Wer also sein Wohlbefinden steigern möchte, sollte einen Duft wählen, der zu ihm passt.
Mit Düften heilen
In der Aromatherapie werden ätherische Öle auch zur Linderung von Beschwerden eingesetzt. Bereits die alten Ägypter machten sich die Kräfte der Pflanzendüfte zunutze. Heute finden sich Pflanzenöle gelegentlich in der Hausapotheke. Bei Erkältungen oder Verdauungsstörungen hat sich Pfefferminzöl bewährt, Lavendelöl wirkt lindernd bei Schmerzen oder Krämpfen und Teebaumöl hilft dank seiner antibakteriellen Wirkung bei kleinen Wunden.
Einige Düfte lassen sich auch medizinisch einsetzen und helfen unter Umständen bei Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder auch Ängsten. Ein aktuelles Beispiel sind Corona-Erkrankungen. „Bei Verlust des Geruchssinns kann über ein spezielles Riechtraining die Regeneration beschleunigt werden“, erklärt Prof. Hummel. „Es gibt darüber hinaus Erkenntnisse darüber, dass Gerüche Auswirkungen auf die Schmerzverarbeitung haben.“ Der Grund: Im Körper gibt es eine enge Verzahnung zwischen den Riechbahnen im Gehirn und den Arealen, die für die Schmerzwahrnehmung wichtig sind. Dieser Zusammenhang ist eine der Grundlagen der Aromatherapie, die bereits seit 5.000 Jahren Anwendung findet und zunehmend in der Schmerztherapie Bedeutung erlangt.