Endometriose: Raus aus der Tabuzone!
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Jede zehnte Frau ist betroffen, trotzdem dauert es im Schnitt mehr als zehn Jahre, bis eine Endometriose bei Patientinnen erkannt wird. Auch Rabea Jüttemann ist es so ergangen. Sie will Frauen Mut machen, ihre Ärzte gezielt auf Endometriose anzusprechen.
Wie beeinflusst die Endometriose Ihren Alltag?
Ich bin oft erschöpft und leide auch an chronischen Schmerzen. Deshalb habe ich meine Arbeitszeit auf Teilzeit verkürzen müssen – also 28 statt 40 Stunden. In vielen Bereichen bin ich nicht mehr so leistungsfähig und es kommt immer wieder vor, dass ich Verabredungen kurzfristig absagen muss, weil es mir an dem Tag schlecht geht.
Welche Auswirkungen hat die Endometriose auf Ihr Familienleben?
Wir sind aufgrund der Endometriose kinderlos geblieben. Wenn der ursprüngliche Lebensentwurf eigentlich anders war, ist das eine große Herausforderung für eine Partnerschaft.
Sie gehen sehr offen mit Ihrer Erkrankung um. Bleibt Ihnen wenigstens die Frage erspart, wann endlich ein Kind unterwegs ist?
Man wundert sich, wie oft diese Frage trotzdem kommt. Das ist furchtbar unsensibel, wenn das Umfeld doch weiß, dass ich an einer Krankheit leide, die für die Kinderlosigkeit verantwortlich ist.
Die Ärzte haben zwölf Jahre gebraucht, bis sie die Ursache Ihrer Beschwerden gefunden haben. Warum hat das so lange gedauert?
Weil das Beschwerdebild sehr komplex ist, wird es von vielen Ärzten nicht richtig zugeordnet. Ich wurde lange nicht ernstgenommen und habe deshalb immer wieder den Frauenarzt gewechselt. Nach fünf oder sechs Wechseln bin ich endlich an eine Ärztin geraten, die den Verdacht auf Endometriose geäußert hat. Und dann kam alles ins Rollen.
Ist die Diagnose so schwierig?
Durch eine gründliche Anamnese sollte es niedergelassenen Frauenärzten möglich sein, eine Verdachtsdiagnose zu stellen und an ein spezialisiertes Endometriosezentrum zur weiteren Abklärung zu überweisen. In der Praxis sieht es jedoch oftmals so aus, dass Zeit und Wissen nicht ausreichend sind – leider. Das Endometriosezentrum wird im begründeten Verdachtsfall eine Laparoskopie, also eine Bauchspiegelung, durchführen. Nur so lässt sich eine Endometriose bestätigen oder ausschließen.
Ungefähr jede zehnte Frau ist von Endometriose betroffen. Wie kann es sein, dass das Wissen darüber unter Medizinern so wenig verbreitet ist?
Die Krankheit ist völlig unterrepräsentiert. Genau das ist das Drama. Wenn ich meinem Frauenarzt über Probleme beim Wasserlassen oder Schmerzen an der Blase berichtet habe, hat er mich zum Urologen geschickt. Genauso sieht es bei Beschwerden mit dem Darm aus. Die Urologen und Gastroenterologen ziehen dann ihr Standardprogramm durch und kommen gar nicht darauf, dass sie es mit einer gynäkologischen Erkrankung zu tun haben. Aber den Gynäkologen, denen müsste es eigentlich klar sein.
Wie ging es Ihnen, als Sie die Diagnose erhalten haben?
Direkt nach der Diagnose war ich ein Stück weit erleichtert: Endlich wusste ich, warum mein Zustand so ist wie er ist. Als mir klar wurde, was das wirklich bedeutet, habe ich auch Angst bekommen. Je nach Schweregrad und Krankheitsverlauf kann Endometriose dramatische Auswirkungen haben. Ganz wichtig: Dass kann, muss aber nicht so sein.
Wären Sie nicht so schwer erkrankt, wenn man Ihre Endometriose früher erkannt hätte?
Auf jeden Fall. Je früher die Krankheit erkannt wird, umso früher lassen sich Schritte einleiten, die sie eindämmen. Bei vielen Frauen verhält sich die Endometriose östrogenabhängig. Wird zum Beispiel durch eine Hormonbehandlung das Östrogen entzogen – also eine künstliche Menopause ausgelöst – können die Beschwerden zurückgehen.
Welche Therapien haben Sie nach der Diagnose erhalten?
Ich wurde ganz klassisch nach den Leitlinien therapiert: mehrere Operationen und Hormonbehandlungen. Das wird häufig kombiniert eingesetzt. Im Bereich alternativer Heilmethoden habe ich mir vieles selbst erarbeitet und ausprobiert: Homöopathie und osteopathische Behandlungen haben bei mir den besten begleitenden Effekt. Zudem bin ich in Psychotherapie, weil die Endometriose nicht nur körperliche Beschwerden verursacht. Auch Schmerztherapie ist ein wichtiger Bestandteil meiner Behandlung.
Macht es Sie wütend, dass man die Ursache für Ihre Schmerzen so lange nicht gefunden hat?
Ja, und deshalb engagiere ich mich heute so für das Thema. Frauenkrankheiten wie Endometriose sind ja nicht gerade sexy, fast schon ein Tabu. Ich möchte eine Öffentlichkeit erreichen und die Krankheit bekannt machen, damit Betroffenen zukünftig schneller die passende Hilfe zuteil wird.
Ist es hilfreich, dass auch Prominente wie zum Beispiel die Schauspielerin Lena Dunham mit ihrer Endometriose an die Öffentlichkeit gehen?
Auf jeden Fall. So erfahren immer mehr Menschen von dieser Krankheit und Frauen mit Symptomen fragen gezielter nach. Das ist etwas, was ich unbedingt unterstützen möchte. Die für Betroffene sehr wertvolle Selbsthilfe – sei es über Foren oder lokale Gruppen – stößt nämlich genau dabei an ihre Grenzen. Darüber erreicht man oftmals vornehmlich Frauen, die eh schon mindestens eine Verdachtsdiagnose haben. Prominente, die an die Öffentlichkeit gehen, sind wichtige Multiplikatoren und können breitere Teile der Gesellschaft erreichen. Das ist vor allem im Hinblick auf das Bekanntwerden der Erkrankung wichtig. Nur so lässt sich mittelfristig etwas an der Versorgungsqualität der Betroffenen verbessern.
Was raten Sie Frauen, die den Verdacht haben, an Endometriose zu leiden?
Sie sollen mit ihrem Gynäkologen darüber sprechen und ihn um eine Überweisung zu einem spezialisierten Endometriosezentrum bitten. Wenn er das ablehnt, sollten sie direkt im Zentrum vorstellig werden. Jede Patientin hat das Recht auf eine Erklärung ihre Beschwerden. Und sollte sich der Verdacht dort nicht bestätigen, ist die Endometriose zumindest ausgeschlossen.
Was ist Endometriose?
Krämpfe und Schmerzen während der Menstruation kennen viele Frauen. Wenn diese Beschwerden aber sehr stark sind, kann das Hinweis auf eine Endometriose sein: Bei dieser Erkrankung siedelt sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, auch außerhalb der Gebärmutter an. Diese Endometrioseherde können Organe wie die Eierstöcke, den Darm oder das Bauchfell befallen und dort Schäden verursachen. Oft wachsen die Endometrioseherde während des Zyklus analog zum Aufbau der Gebärmutterschleimhaut und bluten während der Menstruation mit. Kann dieses Blut nicht richtig abfließen, können sich zudem Zysten bilden. Je nach Lage der Herde und Zysten sind häufig die Eierstöcke und Eileiter betroffen, weshalb Experten davon ausgehen, dass 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, an Endometriose erkrankt sind.