Mit Angst und Sorgen umgehen
Foto: privat, Getty eyeem Interview: Julia Thom
„Wann immer eine Angst auftritt, muss man sich ihr stellen.“ Das sagt Prof. Dr. Borwin Bandelow. Der Psychiater macht uns Hoffnung, denn wir können lernen, mit Ängsten und Sorgen umzugehen.
Im Blick: Herr Bandelow, wovor haben Sie Angst?
Borwin Bandelow: Generell habe ich nicht mehr Angst als andere. Als junger Arzt hatte ich Angst, einen Vortrag zu halten und mich zu blamieren. Das ist zum Glück nicht geschehen. Heute halte ich sehr viele Vorträge und habe davor keine Angst mehr.
Warum haben Menschen Angst?
Wir haben im Kopf ein intelligentes Vernunftgehirn, aber auch ein Angstgehirn, was relativ einfach gestrickt ist. Im Zeichen der Krise schaltet das Gehirn um auf Angstgehirn, die Vernunft wird dann teilweise ausgeschaltet. Dieses primitive System kann Statistiken und Fakten nicht gut verstehen. Man sollte sich jedoch gerade in Krisensituationen mehr auf Zahlen verlassen. Und dafür ist das Vernunftgehirn zuständig. Ich sage immer: Angst ist nicht gut in Statistik.
Was machen Sie gegen Angst?
Ich sage immer, das elfte Gebot heißt: Du sollst nicht kneifen. Wann immer eine Angst auftritt, muss man sich ihr stellen. Das macht man auch in der Verhaltenstherapie so. Wenn jemand Angst vor Hunden hat, muss er mit ihnen spazieren gehen. Natürlich sollte man sich nicht unnötig in Gefahr begeben. Beim Skifahren zum Beispiel ist es notwendig, auch mal einen steilen Hang herunterzufahren. Wenn man Ski fahren kann, hält sich das Risiko in Grenzen. Beherzigt man diese Tipps, kommt man ganz gut durch.
Warum macht uns Corona mehr Angst als beispielsweise der Klimawandel?
Immer, wenn eine neue Gefahr droht, die unbeherrschbar erscheint, haben die Menschen am Anfang sehr viel Angst davor – auch mehr, als angemessen wäre. Die größten Befürchtungen geben sich meist nach ein paar Wochen. Wir haben das Coronavirus eingereiht in die zahlreichen anderen Gefahren, die immer gedroht haben. Die Angst ist auch in normalen Zeiten ein täglicher Begleiter. Ohne sie könnten wir gar nicht lange leben. Ich unterscheide immer zwischen Angst und Sorge. Angst ist, wenn man zum Beispiel eine Panikattacke bekommt mit Herzrasen, Luftnot und Schwindel. Sorge, wenn man morgens die Zeitung aufschlägt und schon wieder nur schlechte Nachrichten drinstehen. Dann fühlt man keine körperlichen Symptome. Man runzelt maximal die Stirn.
Wie schafft man es, Sorge zu seinem Vorteil zu nutzen?
Indem Fantasie und Kreativität aufgeboten werden. Stecken Menschen in einer Krise, rattert das Gehirn. Da fallen einem plötzlich verblüffende Lösungen ein, an die man vorher nicht gedacht hat. Das ist es, was in der Krise am meisten hilft. Das sind wir in Deutschland nicht gewohnt. Aber in anderen, in ärmeren Ländern, müssen die Menschen erfinderisch sein und denken sich Tricks aus.
Wie hat sich unser Sicherheitsgefühl durch die Pandemie verändert?
Wir haben uns vor der Corona-Krise in Deutschland sehr sicher gefühlt. Und dann taucht ein Virus auf, vor dem wir nirgendwo sicher sind – nicht in unserem beschaulichen Viertel, nicht im eigenen Haus. Die bundesdeutsche Wirtschaft war im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr gut aufgestellt. Nie hätten wir uns träumen lassen, dass es überhaupt ein solches Ereignis geben könnte, das so fundamental die gesamte Ökonomie zum Erliegen bringt. Dadurch ist unser Sicherheitsgefühl massiv erschüttert worden.
Sind wir Deutsche ein besonders ängstliches Volk?
Wir sprechen oft von der German Angst. Tatsächlich sind die Deutschen ängstlicher als südlicher lebende Menschen. Aber es gibt Länder, die noch ängstlicher sind als wir. Die im Norden. Es gibt also ein Nord-Süd-Gefälle. Diese Unterschiede sind durch die Evolution entstanden. Früher kamen unsere Vorfahren aus dem Süden nach Europa. Die, die hier im Norden überleben wollten, mussten vorausschauend denken. Denn wir können nur wenige Monate im Jahr ernten. Das heißt: Vorräte für den Winter sichern das Überleben. Im vorausschauenden Planen sind die Ängstlichen besser. Dadurch konnten sie sich an das nördliche Klima anpassen. Am Äquator spielt das weniger eine Rolle.
Wie können wir lernen, mit der neuen Ungewissheit umzugehen?
Menschen können in Notlagen unglaublich anpassungsfähig sein. Wir werden lernen, unsere alte Lebensqualität wiederzuerlangen. Selbst wenn unser gesamtes Land, und jeder Einzelne, erhebliche wirtschaftliche Einbußen erleidet. Wir werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Zum einen, weil wir Maßnahmen ergreifen, durch die wir bei einer späteren Virus-Epidemie besser vorbereitet sind. Zum anderen, weil wir festgestellt haben, dass vieles Schlimme nicht eingetreten ist. Am Anfang der Corona-Krise wurde ich häufig gefragt, ob alle Menschen unter Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen leiden werden. Das ist nicht eingetreten. Tritt eine andere Krise ein, sind wir gewappnet und sagen uns: Das werden wir auch schaffen.
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